Wie Russlands Autoindustrie ins Stocken geriet und ihre Zukunft verlor

Wie Russlands Autoindustrie ins Stocken geriet und ihre Zukunft verlor

Die russische Automobilindustrie durchlebt ihre schwerwiegendste Krise seit Jahrzehnten. Sinkende Verkaufszahlen, verschlechterte Finanzlage und strukturelle Probleme bringen den Sektor an seine Grenzen. Was einst als strategische Schlüsselindustrie galt, kämpft heute ums Überleben in einem veränderten geopolitischen Umfeld.

Produktionseinbruch und Arbeitsplätze in Gefahr

Der größte russische Automobilhersteller AvtoVAZ reduzierte seine Arbeitszeit auf vier Tage pro Woche. Schwache Nachfrage durch teure Autokredite und wachsende Lagerbestände unverkaufter Fahrzeuge zwingen zu drastischen Maßnahmen. Das Unternehmen senkte sein Produktionsziel von ursprünglich 500.000 Fahrzeugen auf etwa 300.000 Einheiten.

Die Verkäufe der Flaggschiff-Modelle der Marke Lada sollen um bis zu 25 Prozent einbrechen. Diese Entwicklung bedroht nicht nur 40.000 Arbeitsplätze im Hauptwerk, sondern auch weitere 15.000 Stellen in verwandten Industriezweigen. Der Gouverneur der Region Samara appellierte bereits an die Regierung um staatliche Unterstützung.

Offizielle Zahlen des Wirtschaftsentwicklungsministeriums zeigen einen Produktionsrückgang von 19,9 Prozent in den ersten acht Monaten des Jahres. Dies folgt auf eine 18,2-prozentige Erholung im Vorjahr, die jedoch den dramatischen Einbruch nicht kompensieren konnte.

Jahr Fahrzeugproduktion (Millionen) Marktanteil chinesischer Marken (%)
2021 1,5 15
2022 0,6 45
2024 0,756 60

Vom Auslandsinvestment zur Importabhängigkeit

Vor der Ukraine-Invasion im Jahr 2022 basierte Russlands Automobilstrategie auf ausländischen Partnerschaften. Das Ziel war eine schrittweise Lokalisierung der Produktion durch Technologietransfer europäischer Hersteller. Diese Strategie galt als Mittelweg zwischen reinen Importen und vollständiger lokaler Produktion.

Während der Boomjahre Ende der 2000er Jahre investierten zahlreiche internationale Konzerne massiv. Hyundai errichtete komplett neue Fertigungsanlagen, während Renault-Nissan eine Mehrheitsbeteiligung an AvtoVAZ übernahm. Bis 2020 existierten etwa 15 Investitionspartnerschaften mit globalen Herstellern, einschließlich dem chinesischen Unternehmen Haval.

Der Weggang westlicher Unternehmen 2022 zwang Moskau zu einer kompletten Neuausrichtung auf chinesische Importe. Der Anteil im Ausland produzierter Fahrzeuge stieg von 18 Prozent im Jahr 2021 auf 60 Prozent im Jahr 2024. Chinesische Marken dominieren mittlerweile mit 84,5 Prozent aller importierten Neuwagen und etwa 60 Prozent des gesamten Neuwagenabsatzes.

Schwache Nachfrage trotz staatlicher Anreize

Die gedämpfte Verbrauchernachfrage hemmt sowohl heimische Produzenten als auch chinesische Lokalisierungsbemühungen. Drastisch gestiegene Preise und Qualitätszweifel schrecken russische Käufer ab. Der durchschnittliche Fahrzeugpreis kletterte zwischen 2021 und 2023 um fast 50 Prozent von 1,99 Millionen auf 2,96 Millionen Rubel.

Das Durchschnittsalter der Fahrzeuge erhöhte sich auf 15,5 Jahre, während sieben von zehn Autos auf russischen Straßen älter als ein Jahrzehnt sind. Hohe Zinssätze und verschärfte Kreditrichtlinien dämpfen die Nachfrage zusätzlich. Bis zu 85 Prozent der Lada-Vesta-Verkäufe hängen von Autokrediten ab.

Die wichtigsten Hemmnisse für die Nachfrage umfassen :

  • Gestiegene Fahrzeugpreise um durchschnittlich 50 Prozent
  • Hohe Zinssätze für Autokredite
  • Verschärfte Kreditvergaberichtlinien der Banken
  • Zweifel an der Qualität russischer Fahrzeuge
  • Bevorzugung chinesischer Modelle durch Verbraucher

Staatliche Maßnahmen und ungewisse Zukunft

Die Regierung reagierte mit umfangreichen Unterstützungsmaßnahmen zur Belebung des heimischen Automobilsektors. Subventionierte Rabatte von bis zu 25 Prozent auf inländisch produzierte Fahrzeuge werden bis 2026 mit Kosten von 113 Milliarden Rubel finanziert. Zusätzlich erhöhte Moskau Importzölle und Recyclinggebühren für ausländische Fahrzeuge.

Chinesische Autos mit 1-2-Liter-Motoren zahlen nun etwa 7.400 Dollar an Recyclinggebühren plus 15 Prozent Importzoll. Diese Gebühren steigen schrittweise, während lokal produzierte Fahrzeuge Rabatte erhalten. Ab 2026 gelten strengere Lokalisierungsregeln für Taxiflotten, ab 2033 dürfen nur noch lokal produzierte Modelle fahren.

Trotz dieser Maßnahmen bleibt die Zukunft ungewiss. Vollständige Lokalisierung ist wirtschaftlich nicht darstellbar, da der russische Markt zu klein für alle chinesischen Marken ist. Motorenproduktion macht erst ab 300.000-500.000 Einheiten Sinn. Chinesische Hersteller verzögern Investitionen bewusst und nutzen ihre Verhandlungsposition für bessere Konditionen.

Experten sehen nur schrittweise Fortschritte abhängig von staatlichen Subventionen. Die Abhängigkeit von chinesischen Fahrzeugen und Ersatzteilen gibt Beijing erheblichen Einfluss. Haval produzierte 100.000 Fahrzeuge in Russland und plant eine Verdopplung, während Moskvich nur 50.000 Einheiten anstrebt.

Jonas
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